Schlaganfall bei jungen Menschen – das klingt surreal, oder?
» So surreal ist das leider nicht. Schlaganfall ist zwar primär eine Krankheit des Alters, aber weltweit ereignen sich etwa ein Viertel aller Schlaganfälle bei Menschen unter 65 Jahren und jeder siebte Schlaganfallpatient ist jünger als 50. Bei Patient:innen im Alter zwischen 18 und 55 Jahren spricht man von dem sogenannten juvenilen Schlaganfall, also dem Schlaganfall beim jungen Menschen. «
Zwischen 18 und 55 Jahren ist eine große Altersspanne…
» … die man sicher noch mal differenzieren sollte. Als klassischer juveniler Schlaganfall zählen jene bei den unter 40-Jährigen ohne erkennbares Risiko. Im Altersbereich Mitte 40 bis Mitte 55 haben wir Patient:innen, die schon die ersten kardiovaskulären Risikofaktoren haben. «
Damit meinen Sie die lebensstilbedingten Schlaganfälle?
» Richtig. Gemeint sind hier die sogenannten Lifestyle-Faktoren wie Bewegungsmangel, Rauchen, Fehlernährung. Und die teilweise dadurch mitbedingten chronischen Erkrankungen Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen. Die spielen bei jungen Menschen fast keine Rolle. «
Welche Ursachen sind es dann bei jungen Menschen?
» Zum Beispiel eine sogenannte spontane Gefäßdissektion einer Halsarterie. Dabei kommt es durch eine kleine Verletzung zu einem Einriss in der Gefäßinnenwand. Es bildet sich ein Wandhämatom, das zu einer Engstelle oder sogar einem Gefäßverschluss führt. Diese Patient:innen sind oft Mitte 40 oder jünger, im höheren Lebensalter kommen solche Dissektionen selten vor. «
Kommt diese spontane Gefäßdissektion häufig vor?
» Es ist eine seltene Erkrankung, aber bei den juvenilen Schlaganfällen sehr relevant. Wir gehen davon aus, dass 15 bis 25 Prozent der juvenilen Schlaganfälle durch diese Dissektionen entstehen. Andere seltenere Ursachen sind zum Beispiel Gefäßentzündungen (Vaskulitiden), Gerinnungsstörungen (Thrombophilien) oder auch Schlaganfälle durch Gerinnsel aus dem Herzen (kardioembolisch) u.a. durch Defekte der Herzscheidewand (paradoxe Embolien), die im höheren Alter selten eine Rolle spielen. «
Lassen sich diese Ursachen immer finden?
» Leider nicht. Es gibt viele Patient:innen, die befinden sich drei oder mehr Tage auf der Stroke Unit im Krankenhaus, durchlaufen das komplette diagnostische Programm, doch am Ende findet man tatsächlich nichts. Diese Rate ist sehr, sehr hoch. Sie liegt mindestens bei 30, manchmal sogar bei 50 Prozent. «
Unabhängig von der Ursache – wie verhält es sich mit Genesung bei jungen Schlaganfallpatient:innen?
» Ihr Outcome ist deutlich besser. Dennoch muss man deutlich sagen, dass etwa ein Drittel der Patient:innen, die eine Behinderung erleiden, ihr Leben nicht mehr so führen können wie vorher und auch dauerhaft arbeitsunfähig bleiben. Nur etwa 40 Prozent kehren an ihren alten Arbeitsplatz zurück. «
Obwohl die Jungen den Schlaganfall in der Regel besser überstehen?
» Ja, weil die Folgen für sie relevanter sind. Wenn ein junger Mensch aufgrund des Schlaganfalls zum Beispiel neuropsychologische Defizite wie Konzentrationsstörungen hat, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er nie wieder auf dem Niveau arbeiten kann, das er vorher hatte. Bei einem 70-Jährigen fallen die gleichen Defizite vielleicht gar nicht so auf. «
Gibt es Präventionsmöglichkeiten für junge Menschen?
» Der klassische juvenile Schlaganfall ohne eine Art von Risikofaktor trifft die jungen Menschen tatsächlich wie der Schlag. Er ist eine akute Erkrankung, die sich nicht vorhersehen lässt. Doch ab Anfang/Mitte 40 kommt es zu einem steilen Anstieg der kardiovaskulären Risikofaktoren. Hier kann jeder selbst frühzeitig aktiv werden und sein Risikoprofil senken. Dazu gehören regelmäßig Sport treiben, gesunde und ausgewogene Ernährung, auf Nikotin verzichten und den Alkoholkonsum begrenzen. «
Gibt es bei den jüngeren Schlaganfallpatienten Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
» Zwischen 18 und 35 Jahren sind Frauen statistisch gesehen häufiger vom Schlaganfall betroffen als Männer. Bei ihnen spielen das Risiko der Pille – vor allem im Zusammenspiel mit Rauchen – und der Risikofaktor Migräne mit Aura eine besondere Rolle. Deutlich mehr Frauen als Männer leiden unter Migräne. Auch Schwangerschaften erhöhen das Risiko für einen Schlaganfall: Um die Entbindung, bzw. die Zeit kurz nach Entbindung, ist das Schlaganfallrisiko erhöht. In der Altersspanne von 35 bis 50 Jahren sind dann wiederum Männer häufiger vom Schlaganfall betroffen. Im höheren Alter näheren sich Männer und Frauen wieder an. «
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